Presse zu

Harburger Anzeigen und Nachrichten - 16.01.1995

Zwischen Spiel und Wirklichkeit

Der französische Schriftsteller Jean Genet war ein Außenseiter der Gesellschaft und schrieb über seinesgleichen. Seine Figuren sind stets moralisch und sexuell anormale Menschen, die in einer Traumwelt leben, deren Wahrnehmungsfähigkeit getrübt ist. Auch sein Drama "Die Zofen", das jetzt vom "Kattenberger Hoftheater" unter der Regie von Andreas Prieß im Gemeindehaus der Sinstorfer Kirche aufgeführt wurde, handelt von den Abgründen des menschlichen Geistes.

Die Zofen Claire (Nicole Timmler) und Solange (Sabine Schindler) erinnern an Kaspar Hauser. Zurückgezogen lebt das Schwesternpaar in den Gemächern ihrer Herrin (Andreas Prieß), die mit Zuckerbrot und Peitsche über ihre Kammerjungfern regiert. Ohne Kontakt zur Außenwelt und unfähig, sich aus ihrer kleinen Welt zu lösen, spielen sie in Abwesenheit der "Gnädigen Frau" das Spiel von Herrschaft und Knechtschaft. Sie versuchen, ihre Sehnsüchte und Rachegelüste zu verarbeiten. Im Verlauf des Rollenspieles "ertrinken" die jungen Frauen in dem immer tiefer werdenden Sumpf ihrer nur scheinbar ausgelebten Gefühle und Neigungen.

Schauspiel vom Feinsten zeigten die Mitglieder des "Kattenberger Hoftheaters". Den Darstellern gelang es, das Publikum in eine surreale, mythisch anmutende Scheinrealität hineinzuziehen. Mit geradezu atemberaubender Leidenschaft und - trotz langer Monologe - beeindruckender Textsicherheit wurde der Zuschauer derart verunsichert, daß er nicht mehr zwischen Spiel und Wirklichkeit zu unterscheiden vermochte.

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