Presse zu Herr Paul

Harburger Anzeigen und Nachrichten - Montag, 19. April 2004

Atmosphäre wie im Traum

Kattenberger Hoftheater spielt den Zweiakter "Herr Paul" von Tankred Dorst

Während der Premiere gab es nur vereinzelte Lacher zum Schluss aber doch begeisterten Beifall.

Von Gabriele Malik

Sinstorf. ”Es war einmal in einer seit ewigen Zeiten still gelegten Seifenfabrik. Da lebten Herr Paul und seine Schwester Luisein ihrer eigenen, kleinen, schmuddelig-verschrobenen Seifenblasenwelt... Und sie schäumten glücklich bis ans Ende ihrer Tage”. So sind Märchen schon von jeher aufgebaut. Bevor es zum glücklichen Ende kommt, müssen die Protagonisten aber allerlei schaurige Abenteuer überstehen.

Das ist auch bei Autor und “Märchenerzähler” Tankred Dorst nicht anders. Das Kattenberger Hoftheater brachte im Sinstorfer Gemeindehaus den Zweiakter “Herr Paul” auf die Bühne.

Herr Paul (Wolfgang Sieja) ist König in seiner Welt. “Philosoph, Anatom - er hätte alles werden können”, sagt denn auch seine Schwester über ihn - umwerfend altjüngferlich-naiv interpretiert von Uschi Mund. Doch dann platzt Jungschnösel Helm (Jens Steinbrück) in das Zweipersonen-Königreich. Er hat die alte Seifenfabrik von seiner Tante geerbt und will jetzt eine Großwäscherei darin aufmachen. Dazu muss er nur noch Herrn Paul samt Schwester dazu bewegen, ins Vorderhaus umzuziehen. Eine Kleinigkeit, denkt er und bringt zur Verstärkung seine Verlobte Lilo (Anette Steinbrück) mit.

Diese zeichnet sich durch schrille Hyperaktivität, eine ebensolche Stimme und beachtliche Gefräßigkeit aus. Außerdem geht sie nie aus dem Haus, ohne etwas Grünes und ihren Walkman, von dem sie die Sprache Borneos lernt. Herr Paul ist jedoch von soviel jugendlicher Dynamik nicht zu beeindrucken und treibt mit seiner sturen Ruhe die Besucher in den Wahnsinn.

Die debile Nachbarstochter Anita (Frauke Timm), genannt Ferkelchen, unterstützt ihn mit Wonne bei diesem subversiven Treiben. Erbe Helm gerät immer mehr in Verzweiflung, denn mangels Geld und Erfahrung braucht er einen Partner zum Aufbau der Großwäscherei. Dieser an der Grenze zum Kleinganoventum entlangschrammende Mensch namens Schwarzbeck (Uwe Blunk) hat wenig Geduld. Er will harte Fakten sehen - und zwar sofort. Will sagen, Paul und Luise sollten umgehend ausziehen... Natürlich gehen die beiden alten Leute als Sieger aus dem Chaos hervor.

Im Grunde ist dieser Stoff kommödientauglich. Tankred Dorst und Regisseur Ingo Tesch haben sich jedoch anders entschieden. Die Inszenierung wirkte verstörend und deutlich surreal. Der Zuschauer fühlte sich in die ganz eigene, seltsame Atmosphäre versetzt, wie die nur in Träumen herrscht, die zwar oberflächlich daherkommen, bei denen aber hinter der nächsten Ecke der Wahnsinn lauert.

So verwundert es nicht, dass die vereinzelten Lacher im Publikum verhalten ausfielen. Dafür war der Applaus danach umso ungehemmter. Die furios agierenden Schauspieler haben ihn sich auch redlich verdient.

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